So beschreibe ich meine Arbeit, wenn ich gefragt werde in und mit welchem Medium ich arbeite. In meinem Arbeitsprozess auf Papier ist meistens etwas zerstörerisches und gewalttätiges enthalten, dass aber nicht zwingend sichtbar werden muss. Auch der Visualisierung von Spuren des Alltäglichen gilt mein Interesse.
Und nun bin ich eingeladen nach Rikuzentakata. Aber wo zum Teufel? Stopp Schritt für Schritt Die Einladung zur Artist in Residence Rikuzentakata und wie es dazu kam.
Anfang September 2015 bekam ich eine Mail, mit dem dringenden Aufruf in mein Facebook Account zu schauen. Nanu, das war neu… Also folgte ich dieser Aufforderung, sie kam von einer guten Freundin MURATA Hiroko, die Mitgründerin und Direktorin von der Artist in Residence Youkobo Art Space in Tokio ist. In der Facebook Message fragte sie: Willst du an einer AiR in Rikuzentakata teilnehmen? Meine erste Reaktion: na klar, was sind denn die Bedingungen? Sie setzte mich mit der Direktorin der AiR Rikuzentakata in Verbindung. Hinuma Teiko, die auch Professorin für Art Produce and Museum Studies an der Joshibi University of Art and Design in Tokyo ist, schickte mir die Konditionen. Traumhafte Konditionen für eine AiR. Transport, Aufenthalt, Materialgeld und ein tägliches Kostgeld werden bezahlt, las ich da, kann das denn wahr sein? Was weiter? Wo ist der Haken? Ich würde mich verpflichten an einem Symposium teilzunehmen, einen Vortrag an der Joshibi University of Art and Design in Tokyo zu halten und mit den Menschen in Rikuzentakata zu kommunizieren. Okaaaay. Was weiter? Nach Abschluss der AiR Rikuzentakata wird ein Vortrag, eine Publikation oder eine Ausstellung zu der Situation in Rikuzentakata in meinem Heimatland erwartet.
Okay? Was ist mit der künstlerischen Arbeit? Frei. Egal. Was auch immer. Gar nichts geht auch. Auch das ist neu.
Schnell war für mich entschieden, dass ich dieses Angebot annehme und unterschrieb ich den Vertrag.
Dann kamen die Zweifel und mit Wucht. Wo zum Teufel ist Rikuzentakata? Klar in Japan. Im Tsunamigebiet. In der Präfektur Iwate. Rikuzentakata ist eine Stadt an der Nordostküste Japans die durch das Erdbeben und die folgende Tsunami am 11.3.2011 zu 80% zerstört wurde. Durch mein Leben in Japan wusste ich, dass diese Stadt weit weg ist von Tokyo und damit auch weit von Daiichi Fukushima. Dennoch, was will ich dort? Katastrophen-Kunst? Betroffenheits-Kunst? Katastrophen-Voyeurismus? Das ist nicht mein Weg und nicht meine Herangehensweise. Und soll es auch nicht werden. Was also soll ich künstlerisch an solch einem Ort?
Davon war wahrlich genug vorzufinden in Rikuzentakata.
Schnell lernte ich, das jemand der mit Japan nicht viel zu tun hat, sofort und ausschließlich an Fukushima und die Nukleare Katastrophe dachte, wenn ich sagte ich werde zwei Monate in der Stadt verbringen die von der Tsunami 2011 fast ausgelöscht wurde. Das fast die gesamte nördliche Ostküste zerstört wurde, ist unserem Bewusstsein entschwunden. Der 11. März 2011 steht für uns im Westen fast ausschließlich für die Atomkatastrophe von Fukushima. Das Gebiet in das ich fahren werde liegt ca. 700 km entfernt von Tokyo. Das Atomkraftwerk Fukushima DaiICHI nur 250 km. Die Radioaktivität in Rikuzentakata ist geringer, als die natürliche Strahlung im Schwarzwald.
Vielleicht ist das schon Teil des Auftrags? Das Ausmaß der Folgen von Erdbeben und Tsunami in Erinnerung zu rufen? An die Betroffenen außerhalb der Sperrzone, die in Vergessenheit geraten sind, zu erinnern.
Ich bereitete meine Abreise vor. Wusste wie weit das Wasser ins Land eingedrungen war. Warum es den Ort so hart getroffen hatte. Wie viele Menschen ertrunken sind bzw. noch vermisst werden.
Wie weit: 8 km drang das Wasser ins Land ein mit einer Höhe von 14-18 m. Wie viel: Einwohner von Rikuzemtakata vor dem Beben ungefähr 25.000. Ertrunkene bzw. noch Vermisste: ungefähr 2000. Warum: unzureichende Schutzmaßnahmen um den Blick auf 700 Kiefern am Ufer nicht zu verstellen.
Doch was mich dort erwartete, übertraf all meine Vorstellungen. Ich war sprachlos angesichts dieser Zerstörungskraft durch die Natur. Und ich war sprachlos über die darauffolgende Zerstörung der Natur durch den Menschen.
Es war auf langen, langsamen bürokratischen Wegen entschieden worden die ehemalige Stadtfläche von Rikuzentakata auf 12 Meter anzuheben. Zum Schutz vor einer neuen Flutwelle. Die vom März 2011 war offiziell 14 Meter hoch, inoffiziell wurde sie mit 16-18 Metern benannt. Warum also 12 Meter? Dafür mussten und müssen die herumliegenden Berge abgeschleift werden, um die nötige Erde zu gewinnen. Große Wunden entstehen in diesen Bergen.
Gigantische Fördertürme und Transportbänder zogen sich durch die brache Fläche wie Spinnennetze. Dröhnender Lärm wurde von den Bergen geechot. Gigantische Erdhügel reihten sich aneinander. Riesige Arbeitsmaschinen sahen aus wie Matchboxautos. Meine Sprachlosigkeit hielt an.
Wir waren zu viert, zwei Künstler aus Thailand und ein japanische Künstler, der auch unser Betreuer war. Den ersten Monat des zweimonatigen Aufenthalts sind wir praktisch nur herumgefahren um uns das Ausmaß der Zerstörung anzusehen. Wir haben Überlebende in ihren Behausungen besucht, ein großer Teil ist 5 Jahre nach der Katastrophe noch in Containern untergebracht, haben Freiwillige Helfer getroffen, die gekommen sind um zu helfen und die sich nun in Rikuzemtakata neue Existenzen aufgebaut haben. Das Erdbeben und seine Folgen hat die Menschen erschüttert und verändert. Viele Geschichten von radikalen Schnitten wurden uns erzählt. Tragische, schöne. Wir hörten von Konflikten und Machtkämpfen in den Containersiedlungen und den Massenunterkünften. Viele Menschen, die ihr Haus verloren haben, erzählten uns von ihrer Wut auf die Regierung, sie konnten das Meer vom Haus aus nicht einmal sehen und die Regierung hatte diese Wohngebiete als Tsunami sicher eingestuft. Also besaß auch niemand in dieser Gegend die sehr teuren Tsunamiversicherungen. Nun mussten die meisten den Kredit für das weggeschwemmte Haus abzahlen und einen Neuen Kredit für ein Neues aufnehmen. Alle waren betroffen.
Und jetzt? Was soll das mit der Kunst?
Angkrit Ajchariyasophon plante von den Einwohnern Rikuzentakatas 1001 Regenbogen als Zeichen der Hoffnung zu sammeln. Tawatchai Pattanaporn arbeitet an einer fotografischen Dokumentation, die er 2014 begann. Geplant war eine Eintagesausstellung zum Abschied aus Rikuzentakata. Dazu wollten wir uns im MIRAI SHOTENGAI, dem Marktplatz der Zukunft, die Markthalle mieten und vorher einen Container als Atelier und Studio zum Arbeiten.
Durch die vielen Geschichten und Erzählungen, die ich mir angehört hatte, war mir Bewusst geworden, wie schwierig es für Überlebender einer Katastrophe ist, sich am Leben zu erhalten. Dinge, die man immer wieder tun muss, tagtäglich. Essen Trinken Schlafen. Essen Trinken Schlafen. Und immer wieder. Die tagtägliche Wiederholung des Notwendigen. Egal, was man verloren hat, egal, wen man verloren hat.
Langsam kristallisierte sich für mich heraus, dass ich genau mit und über diese tagtägliche Wiederholung des Notwendigen arbeiten werde.
Tee, Reis, Erde. Das waren die Elemente auf die sich meine Überlegungen konzentrierten. Tee und Reis nahm ich als Komfortfood an. Ich fragte 8 Personen um unsere Studiobox herum, ob sie mich bei diesem Prozess unterstützen würden. Täglich wollte ich die verbrauchten Teeblätter und das Waschwasser des Reises vom Vortrag einsammeln. Alle sagten zu. Bei einer Familie wurde allerdings nur Kaffee getrunken. Auch gut. So begann ich meinen Arbeitstag in dem ich einmal rundherumging um meine Arbeitsmaterialen, die Teeblätter und das Reiswaschwasser, einzusammeln.
Diese Acht konnten zwar vage in eine Richtung zeigen und sagen, da war mein Haus, mein Heim mein Geschäft, durch die Anhäufung der gigantischen Erdhügel auf der gesamten ehemaligen Stadtfläche blieb es aber bei einem Ungefähr. Von den verschiedenen Erdhügeln sammelte ich Erde.
Dann in der Studiobox begann ich mit der Arbeit. Die verbrauchten Teeblätter platzierte ich auf Papier und lies sie über Nacht liegen. Das Waschwasser des Reises schüttete ich kreisförmig auf Papier, verstrich es mit den Fingern und wartete bis es trocknete. Mit der gesammelten Erde (von Geologen hörte ich, dass ich Glück im Unglück hatte: Normalerweise hat die erste Erdschicht einer Region, der Mutterboden, denselben Farbton, durch die Abtragung der Berge hatte ich Erde aus verschiedenen Schichten und damit mehrere Farbtöne), polierte ich ohne weiter Zutaten Papier. In kreisenden Bewegungen. Immer und immer wieder. Rund herum. Rund und Rund und Rund herum.
Für die Präsentation unserer Eintagesausstellung entschieden wir uns, dass die Markthalle von den Thailändern bespielt wird und mir für meine Arbeit die Studiobox zu Verfügung steht. Da diese aus drei aneinandergereihten Containern bestand ergab sich ein Quadrat. Dieses Quadrat habe ich für meine Präsentation aufgegriffen.
Mit einem Zitat von Rustin Cohle aus True Detective möchte ich schliessen “Time is a flat circle. Everything we have done or will do we will do over and over and over again--forever.” Rustin Cohle zitiert Nietzsche